Anja Schlicht

Redaktionsleitung

Bedingungsloses Grundeinkommen passt zur Demokratie

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat mit ihrer ablehnenden Haltung der Diskussion um ein Grundeinkommen in Deutschland neuen Wind verpasst. Dabei ist „das bedingungslose Grundeinkommen die wirtschaftliche Grundlage, die zur Demokratie passt“, sagt Susanne Wiest, die Vorsitzende der Ein-Themen Partei Bündnis Grundeinkommen. Warum, erklärt sie im Gespräch mit finanzen.de

Veröffentlicht am 12. Mai 2017
Wiederholt hat sich Arbeitsministerin Nahles gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, zuletzt auf der Digital-Konferenz re:publica. Doch genau dafür setzt sich eine neu gegründete Partei ein. Beim Bündnis Grundeinkommen (BGE) konzentriert sich das „politische Handeln ausschließlich auf das bedingungslose Grundeinkommen“, erläutert die Parteivorsitzende Susanne Wiest finanzen.de. Im Interview erklärt sie, was sie Kritikern entgegnet und wie sich ihre Partei von anderen absetzt, die sich ebenfalls für ein Grundeinkommen stark machen.

Die Ein-Themen Partei Bündnis Grundeinkommen wurde vergangenes Jahr gegründet. Was war für diese Entscheidung ausschlaggebend?

Susanne Wiest: Inspiriert wurde die Gründung durch die Schweizer Volksabstimmung über die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens am 5. Juni 2016. Die Volksinitiative wurde von den Schweizer Stimmbürger*innen zwar abgelehnt, erzielte jedoch eine bemerkenswerte Zustimmung von 23,1 Prozent.

Auch in Deutschland wird das bedingungslose Grundeinkommen seit Jahren diskutiert, viele Bürgerinitiativen und Einzelpersonen arbeiten engagiert am Thema und erfahren aus der Gesellschaft immer größeren Zuspruch. In der Politik wird dem Thema wiederum kaum Aufmerksamkeit geschenkt. So gibt es ein gebrochenes Wahlversprechen von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, ab 2013 im Bundestag eine Enquete-Kommission zum bedingungslosen Grundeinkommen einzurichten. Entsprechend stellte sich die Frage, wie wir in Deutschland mit diesem wichtigen Zukunftsthema weiter vorankommen und eine gesamtgesellschaftliche Diskussion führen können.

Parteien haben viele Themen und darauf, welches gerade bearbeitet wird, haben Bürger*innen wenig Einfluss. Auch über bundesweite Volksabstimmungen verfügen wir in Deutschland nicht. So entstand die Idee, eine Ein-Themen Partei zu gründen, deren politisches Handeln sich ausschließlich auf das bedingungslose Grundeinkommen konzentriert.

Für alle Bürger*innen, die das Thema voranbringen wollen, soll das bedingungslose Grundeinkommen bei der kommenden Bundestagswahl mit der Zweitstimme wählbar sein.

Wie viele Mitglieder hat Ihre Partei derzeit?

Susanne Wiest: Bündnis Grundeinkommen hat derzeit etwa 250 Mitglieder. Wichtig für unsere Arbeit und gleichberechtigt in der Mitarbeit im Bündnis sind die sehr aktive Gruppe von aktuell rund 1.000 Unterstützer*innen sowie die bestehenden Grundeinkommensinitiativen, mit denen wir intensiv zusammenarbeiten. Es geht uns nicht darum, eine klassische Parteistruktur aufzubauen, sondern darum, das bedingungslose Grundeinkommen mit den vorhandenen demokratischen Mitteln voranzubringen.

Auch andere Parteien setzen sich für ein Grundeinkommen ein, wie Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Wie hebt sich Ihre Partei davon ab?

Susanne Wiest: Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein wichtiges Zukunftsthema und berührt und verändert viele politische Bereiche. Wir haben uns entschlossen, uns ganz diesem Thema zu widmen und mit unserer Wahlbewerbung den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit zu bieten, sich klar und eindeutig für das bedingungslose Grundeinkommen auszusprechen. So eine klare Positionierung ist bei allen anderen Parteien nicht möglich. Dort wird immer ein Gesamtpaket angeboten. Gerade bei Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke konnten wir ja erleben, dass das Wahlversprechen 2013, eine Enquete-Kommission zum bedingungslosen Grundeinkommen einzurichten, nicht weiterverfolgt wurde.

In Finnland erhalten 2.000 Bürgerinnen und Bürger seit einiger Zeit testweise ein bedingungsloses Grundeinkommen von monatlich 560 Euro. Würde diese Summe Ihrer Meinung nach in Deutschland ausreichen, um die Existenz zu sichern und demokratische Teilhabe am Gemeinwesen zu ermöglichen, wie Sie es in Ihrem Programm fordern?

Susanne Wiest: Das finnische Pilotprojekt ist ein wichtiger Schritt. Effekte, die wir uns von einem bedingungslosen Grundeinkommen versprechen, wie mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung sowie weniger Bürokratie, können bereits erlebt und beschrieben werden. Seiner Ausgestaltung nach ist das finnische Modell jedoch eher ein partielles als ein bedingungsloses Grundeinkommen. So wird es zum einen nicht an alle Bürger*innen ausgezahlt, sondern nur an Erwerbslose. Zum anderen muss zu den steuerfrei gewährten 560 Euro, die den Lebensunterhalt abdecken sollen, noch Wohngeld beantragt werden.

Bündnis Grundeinkommen vertritt ein bedingungsloses Grundeinkommen, das der allgemein anerkannten Definition des Netzwerkes Grundeinkommen entspricht: Es geht um ein Einkommen, das eine politische Gemeinschaft bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Es soll

  • Die Existenz sichern
  • Gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen
  • Einen individuellen Rechtsanspruch darstellen
  • Ohne Bedürftigkeitsprüfung bewilligt werden
  • Ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden

Wie hoch das Grundeinkommen genau sein muss, soll in einer breiten, gesamtgesellschaftlichen Diskussion geklärt werden.

Was entgegnen Sie Kritikern des bedingungslosen Grundeinkommens, die beispielsweise befürchten, dass niemand mehr unattraktive Jobs ausüben würde, wenn es ein Grundeinkommen gäbe?

Susanne Wiest: Jobs werden oft aufgrund ihrer unzureichenden Bezahlung oder wegen zu hoher Arbeitsbelastung als unattraktiv empfunden. Mit einem existenzsichernden bedingungslosen Grundeinkommen im Rücken können wir alle zu unattraktiven Arbeitsangeboten „nein“ sagen. Es wäre wieder von einem echten Arbeitsmarkt, mit Wahlfreiheit aller Beteiligten, die Rede. Unattraktive Jobs müssten entweder besser entlohnt, attraktiver ausgestaltet oder automatisiert werden.

Menschen durch Existenzdruck dazu zu zwingen, das zu tun, was keine*r machen will, ist undemokratisch und verletzt die Menschenwürde. Das bedingungslose Grundeinkommen ist die wirtschaftliche Grundlage, die zur Demokratie passt.

Am 14. Mai 2017 steht die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an. Mit welchem Wahlergebnis wären Sie zufrieden?

Susanne Wiest: Bereits die Teilnahme an der Landtagswahl ist ein großer Erfolg. Das bedingungslose Grundeinkommen ist in Nordrhein-Westfalen für alle Bürgerinnen und Bürger wählbar. Grundeinkommen ist wählbar. Das war und ist unser Ziel. Und das haben wir erreicht.

Vielen Dank für das Interview, Frau Wiest!