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Frühgeborene Kinder: Eltern brauchen mehr Unterstützung

Kommt ein Kind vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt, spricht man von einer Frühgeburt. Die vorzeitige Entbindung ist nicht nur für das Kind eine Belastung. Eltern werden häufig ganz plötzlich von der verfrühten Geburt überrascht und sehen sich (mit vorher) ungeahnten Sorgen und Problemen konfrontiert. Unterstützungsangebote gibt es für sie jedoch nur wenige.

Veröffentlicht am 12. Juni 2017
Wird ein Kind zu früh geboren, ändert sich das Leben der Eltern von heute auf morgen deutlich früher und einschneidender als erwartet. Für viele Eltern ist das aus verschiedenen Gründen eine enorme Belastungssituation, weiß Barbara Grieb vom Bundesverband „Das frühgeborene Kind“. Neben der Sorge um den gesundheitlichen Zustand des Nachwuchses stellen sich viele Fragen zur außergewöhnlichen Pflegesituation von Frühchen. Auch finanziell und organisatorisch kann die verfrühte Geburt zur Belastung werden. Denn die Betreuung von Geschwisterkindern oder der geplante Wiedereinstieg in den Beruf gestalten sich durch den hohen Pflegebedarf des Säuglings häufig schwierig, erzählt die Expertin im finanzen.de-Interview.

Eltern, deren Kinder lange vor dem errechneten Geburtstermin auf die Welt kommen, haben häufig mit vielen Sorgen zu kämpfen. Der Säugling erhält zwar modernste medizinische Versorgung. Doch mit ihren Ängsten bleiben die Eltern oft allein. Welche Unterstützungs- und Beratungsangebote brauchen Eltern, deren Kinder verfrüht auf die Welt kommen?

Barbara Grieb: Notwendige Beratungs- und Unterstützungsangebote sollten unserer Meinung nach nicht erst nach der Geburt eines unreif geborenen Säuglings einsetzen, sondern bereits während der Schwangerschaft. Denn die Ursachen für eine Frühgeburt liegen sowohl in medizinischen als auch psychischen Faktoren. Schon bei den ersten gynäkologischen Untersuchungen sollte nicht nur über die körperliche Verfassung von Mutter und Kind gesprochen werden, sondern auch über die persönliche Situation der Eltern. War die Schwangerschaft geplant? Gibt es finanzielle Ressourcen und Hilfestellungen aus dem privaten Umfeld?

Nach der Geburt des Kindes setzt der zweite Beratungsbedarf ein. Denn Frühchen müssen oft ganz anderes umsorgt werden als reif geborene Kinder. Unsere Organisation hat sich deshalb dafür eingesetzt, dass es geschulte Elternberater*innen in jedem Perinatalzentrum (Fachbegriff für Mutter-Kind-Zentrum der Klinik) in Deutschland gibt. Sie leiten Eltern in der Pflege ihres Frühchens an und entlasten sie auf verschiedene Weise in der sehr belastenden Akutsituation auf der Intensivstation. Bei den Eltern führt das zu viel mehr Selbstbewusstsein in der Versorgung des Kindes. Für Krankenhäuser bedeutet es wiederum, dass viel weniger Wiederaufnahmen in die Klinik stattfinden, da die Eltern das Verhalten ihres Kindes besser interpretieren können und wissen, worauf sie achten müssen.

Neben der Sorge um das Kind machen sich viele Eltern Gedanken darüber, wie sie ihren zukünftigen Alltag strukturieren. Wie unterscheiden sich die Bedürfnisse von Frühchen zu Kindern, die zum errechneten Geburtstermin auf die Welt kommen?

Barbara Grieb: Frühchen können viele Dinge noch nicht so gut wie reif geborene Kinder. Ihnen fällt die Nahrungsaufnahme oft schwer, weil die Saug-Schluck-Koordination noch nicht vollständig ausgebildet ist. Das kann dazu führen, dass das Kind beim Essen keine Luft bekommt und blau anläuft oder schon nach wenigen Schlucken einfach einschläft. Das ist selbstverständlich auch für Mütter eine enorme Stresssituation, was wiederum das Stillen erschweren kann. Das Kind und die Eltern brauchen deshalb besonders viel Zeit, Ruhe sowie fachliche Begleitung, um sich auf diese besondere Situation einzulassen.

Welche speziellen Therapie- und Behandlungsformen werden speziell für frühgeborene Kinder und deren Eltern angeboten?

Barbara Grieb: Wenn Kinder vor dem errechneten Geburtstermin auf die Welt kommen, kann es sein, dass sie verschiedene Therapien nach der Entlassung aus dem Krankenhaus benötigen. Viele Säuglinge brauchen beispielsweise eine Physio- und Ergotherapie, um vorhandene Spasmen zu lösen oder Gleichgewichtsstörungen zu behandeln. Manchmal werden Frühgeborene sogar mit künstlicher Ernährung oder Sauerstoffversorgung nach Hause entlassen, was eine ambulante Betreuung erforderlich macht.

Können Väter und Mütter hierbei mit einer finanziellen Unterstützung ihrer Krankenkasse oder ihrer privaten Krankenversicherung rechnen?

Barbara Grieb: Grundsätzlich werden alle Behandlungen, die vom behandelnden Arzt verordnet werden, von den Krankenkassen übernommen. Das ist natürlich sehr zu begrüßen. Allerdings sind es nicht nur akute medizinische Beschwerden, die bei Frühchen behandelt werden müssen.

Eine sozialmedizinische Nachsorge brauchen häufig auch Kinder ohne eine medizinische Indikation. Die einzige mir bekannte Institution, die Nachsorge auch für Eltern anbieten, deren Kinder keinen akuten medizinischen Betreuungsbedarf haben, ist Harlekin in Bayern. Sie unterstützen Eltern dabei, eine Beziehung zu ihrem besonders schutz- und sorgebedürftigen Kind aufzubauen.

Als Institution beklagen wir darüber hinaus schon lange, dass Eltern von Frühchen keine existierenden, entlastenden und kostenfreien Angebote erhalten, etwa eine Haushaltshilfe. Gerade wenn Geschwisterkinder versorgt werden müssen, der Vater schon wieder arbeiten muss oder ein Elternteil gar alleinerziehend mit mehreren Kindern zu Hause ist, wird organisatorische Unterstützung benötigt. Solche Hilfsangebote bieten meist konfessionelle und eher lokale Träger wie die Caritas an. Wir vermitteln ratsuchende Eltern an die richtigen Kontaktadressen.

Sie haben im Juni 2017 die Kampagne „Kleine Helden – große Helfer“ gestartet. Welche Erwartungen stellen Sie an das Projekt?

Barbara Grieb: Von unserer neuen Kampagne erwarten wir uns ein gesteigertes Augenmerk auf moderne Versorgungsansätze in Perinatalzentren und in der Nachsorge betroffener Familien. Dadurch steigen die Chancen dieser Kinder, trotz ihrer zu frühen Geburt ein gesundes Leben führen zu können, enorm. Wir erhoffen uns sowohl Gehör von der Politik für die Bedarfe von Frühchen und deren Väter und Mütter zu bekommen als auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Ein Ziel, das wir uns dadurch versprechen, ist etwa, dass die Standards der Kliniken in der Versorgung von Frühchen einheitlicher auf ein hohes Qualitätsniveau angehoben werden.

Vielen Dank für das Interview, Frau Grieb.

Das Interview führte Cora Christine Döhn.