Leere Brieftasche
Anja Schlicht
Anja Schlicht

Redaktionsleitung

Schuldenbremse: Regierung muss Reaktion auf Weltwirtschaft zeigen

Seit zehn Jahren gibt es die sogenannte Schuldenbremse. Sie verfolgt das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts von Bund und Ländern ohne neue Kredite. Doch zuletzt hat sich die Kritik an ihr verstärkt. Immer mehr Ökonomen sprechen sich für eine Reform aus. Eine der schärfsten Kritikerinnen ist die Linken-Politikerin Dr. Gesine Lötzsch.

„Wer die Deutsche Bahn benutzt oder in Berlin die S-Bahn, der weiß, dass die Verantwortlichen die Züge schon seit Jahren auf Verschleiß fahren“, sagt Dr. Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag. „Es gibt zudem unzählige Brücken in Deutschland, die so kaputt sind, dass eine  Instandsetzung nicht mehr möglich ist. Wir leben von der Substanz.“

Grund dafür ist ein immenser Investitionsstau in Deutschland, der unterem durch die Schuldenbremse bedingt ist. Dr. Gesine Lötzsch fordert deren Abschaffung daher seit Jahren. Mit finanzen.de hat sie darüber gesprochen, wer besonders unter dem Investitionsstau leidet und was sich ändern muss.

Frau Dr. Lötzsch, warum nehmen die Zweifel an der Schuldenbremse gerade jetzt zu?

Dr. Gesine Lötzsch: Es gibt einen Investitionsstau in Deutschland. Allein die Deutsche Bahn hat einen Investitionsbedarf von circa 57 Milliarden Euro. Wir brauchen preiswerte Wohnungen in den Großstädten. Wir brauchen mehr Kindergärten und Schulen und wir müssen mehr in den öffentlichen Nahverkehr investieren. Die Kosten für das frisch verabschiedete Klimapaket sind noch gar nicht im Haushaltsentwurf enthalten.

Doch die Bundesregierung friert die Investitionen für die nächsten Jahre ein, um die „schwarze Null“ zu retten. Immer mehr Ökonomen sehen die „schwarze Null“ und die Schuldenbremse als Probleme an. Die Bundesregierung müsste auf die weltwirtschaftliche Entwicklung reagieren. Die Handelskriege werden den Exportweltmeister Deutschland direkt treffen. Auch deshalb müssen wir in unsere Infrastruktur investieren, um nicht vollständig vom Export abhängig zu sein.

Gibt es Regionen, die besonders unter den Vorgaben durch die Schuldenbremse leiden?

Dr. Gesine Lötzsch: Besonders Menschen auf dem Land leiden unter fehlenden Investitionen. Sie wurden in den vergangenen Jahren fast vollständig vom öffentlichen Nahverkehr abgekoppelt. Von einer Digitalisierung der Dörfer sind wir noch sehr weit entfernt.

Die Schuldenbremse gibt es seit zehn Jahren. War es in Ihren Augen generell falsch, sie einzuführen?

Dr. Gesine Lötzsch: Die Einführung der Schuldenbremse war ideologisch motiviert. Die Finanzkrise hat den Staaten Milliarden Euro gekostet und Staaten wie Griechenland fast in den Ruin getrieben. Es wurde der Eindruck vermittelt, dass die Staaten über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Dabei haben die Banken über ihre Verhältnisse gelebt. Die Banken wurden gerettet und die Bürgerinnen und Bürger sollten dafür Verzicht üben.

Für Verteidiger der Schuldenbremse steht sie unter anderem für Nachhaltigkeit und Generationsgerechtigkeit. Wie ist Ihre Position dazu?

Dr. Gesine Lötzsch: Es ist nicht nachhaltig, wenn man die Infrastruktur verschleißen lässt und Substanzverlust in Kauf nimmt. Es hat auch nichts mit Generationsgerechtigkeit zu tun, wenn zu wenig Geld in die Bildung unserer Kinder und Enkelkinder gesteckt wird. Wir vererben nicht nur unsere Schulden, sondern auch unsere Schulen, Universitäten und Wohnungen.

Sie machen sich im Gegenzug für ein Investitionsprogramm stark. Wie sieht dieses aus?

Dr. Gesine Lötzsch: Wir brauchen ein umfassendes und langfristiges Investitionsprogramm, auf das sich die Wirtschaft, Länder und Kommunen langfristig einstellen können. Wir müssen in Bildung, in neue Arbeitsplätze und in den sozial-ökologischen Umbau investieren.

Für die Finanzierung brauchen wir dabei eine Steuerreform, die Vermögen stärker besteuert. In den USA wird eine Steuer auf Vermögen von mehr als 50 Millionen Dollar diskutiert. In Deutschland könnte sie laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung 17,7 Milliarden Euro erbringen. Bezahlen würden das die reichsten 8.100 Haushalte, also die obersten 0,02 Prozent der deutschen Bevölkerung.

Vielen Dank für das Interview, Frau Dr. Lötzsch.