Alte Frau zählt Kleingeld
Anja Schlicht

Redaktionsleitung

Gesetzlichen Pflegekassen geht das Geld aus: Reform dringend notwendig

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stehen intensive Wochen bevor. Denn nicht nur die gesetzliche Krankenversicherung wartet angesichts eines Milliardendefizits auf ein Gesetz zur Stabilisierung der Finanzierung. Auch in der gesetzlichen Pflegeversicherung ist der Handlungsbedarf hoch. Bereits im Juli könnte das Geld für 2022 aufgebraucht sein.

  • Die gesetzliche Pflegeversicherung droht im nächsten Jahr teurer zu werden.
  • Grund sind unter anderem Ausgaben von mehr als sieben Milliarden Euro, die aus Sicht der Pflegekassen besser vom Bund getragen werden sollten.
  • Nur eine Reform könne die Finanzlage der sozialen Pflegeversicherung stabilisieren.

„Der politische Handlungsdruck steigt mit jedem Monat“, fasst die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann, die Lage der gesetzlichen Pflegeversicherung zusammen. Durch die Corona-Pandemie habe sich das strukturelle Defizit der Pflegekassen verstärkt, sodass sich der Fehlbetrag in diesem Jahr auf 3,5 Milliarden Euro summieren wird, teilt sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland mit.

Bestenfalls sollte noch im ersten Halbjahr 2022 ein Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium kommen, mit dem die Finanzperspektive der gesetzlichen Pflegeversicherung nachhaltig gestärkt wird.

Versicherungsfremde Leistungen belasten die Pflegekasse

Die Gründe für das Defizit in der gesetzlichen Pflegeversicherung sind unterschiedlich. Großen Anteil daran hat die bessere Bezahlung von Pflegekräften. Auch zusätzliche Ausrüstung für Pflegende und strengere Hygienevorschriften für Pflegebedürftige haben die Pflegekassen belastet, erklärt Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandschef des GKV-Spitzenverband. Diese Ausgaben belaufen sich insgesamt auf rund vier Milliarden Euro.

In Kiefers Augen gab es „ein bewusstes, massives Abschmelzen der Reserven der Pflegeversicherung in der Coronapandemie.“ Dabei seien diese Mehrausgaben gesamtgesellschaftliche Kostenpunkte, die über Steuermittel finanziert werden sollten.

Dazu zählen auch Sozialversicherungsbeiträge, die die Pflegekassen für pflegende Angehörige zahlen. Hier könnte die Pflegeversicherung weitere 3,3 Milliarden Euro einsparen, wenn das Geld vom Bund käme. Allerdings zeigt sich der WirtschaftsWoche zufolge wenig Spielraum für einen zusätzlichen Steuerzuschuss. So haben „Verhandlungen über eine dauerhafte Entlastung der Pflegeversicherung von Leistungen, für die sie eigentlich nicht zuständig sei, mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) keinen Erfolg gehabt.“

Kosten für Pflegebedürftige drohen weiter zu steigen

Dabei sind der AOK-Bundesverband und der GKV-Spitzenverband längst nicht die einzigen, die eine Reform der Pflegeversicherung fordern. Auch der bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) mahnt gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass der Bund „die bestehende Schieflage umgehend in den Fokus nehmen und die soziale Pflegeversicherung finanziell stärken“ muss. Es sei jetzt Zeit zu handeln.

Mit Blick auf verbesserte Löhne im Pflegebereich und dem Plus an Pflegekräften warnt er vor weiteren steigenden Kosten. Damit dürften Pflegebedürftige und ihre Angehörigen nicht allein gelassen werden.

Droht 2023 der Beitragstsunami bei Pflege- und Krankenversicherung?

Um die aktuell zu erwartende Finanzlücke von 3,5 Milliarden Euro zu schließen, müsste der Pflegebeitrag um 0,35 Prozent steigen. Kinderlose würden dann 3,75 Prozent zahlen, Personen mit Kindern 3,4 Prozent.

Bei einem monatlichen Bruttoeinkommen von 3.500 Euro würde dies für einen Angestellten ohne Nachwuchs zwar nur rund sechs Euro mehr bedeuten. In Anbetracht der zunehmenden Lebenserhaltungskosten durch die Inflation und die ebenfalls drohenden Beitragserhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung täte die Bundesregierung jedoch gut daran, die Mehrbelastung der Bürger zu niedrig wie möglich zu halten.