Neues Heil- und Hilfsmittelgesetz droht für Patienten teuer zu werden
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will das Versorgungssystem in Deutschland durch ein Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz auf die wachsende Anzahl von Pflegebedürftigen und chronisch Erkrankte vorbereiten. Das Gesetz könnte sich allerdings an einigen Stellen als nachteilig erweisen, warnt Björn Jäger von der ICW e.V. im Gespräch mit finanzen.de.
Veröffentlicht am 10. Oktober 2016
Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt. Das hängt mit dem demografischen Wandel, der längeren Lebenserwartung sowie der verbesserten medizinischen Versorgung zusammen. Deshalb erreichen immer mehr Menschen ein Alter, in dem es wahrscheinlich ist, im alltäglichen Leben auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Um der wachsenden Anzahl an pflegebedürftigen Menschen gerecht zu werden, standen im Fokus der Politik bisher vor allem die Pflegeversorgung und die Leistungen durch die gesetzliche Pflegeversicherung.
Nun will Gesundheitsminister Gröhe auch andere Bereiche der Gesundheitsversorgung verbessern. Denn bei den Heil- und Hilfsmitteln bestehen für Pflegebedürftige und auch selbstständige Patienten oftmals Probleme hinsichtlich der Qualität der Hilfsmittel sowie Unklarheiten bei der Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen. Der Gesetzesentwurf zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) sieht deshalb einer Reihe von Maßnahmen vor, etwa eine grundlegende Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses. Wird das Gesetz jedoch unverändert umgesetzt, wie es derzeit geplant ist, könnten sich insbesondere für Menschen mit chronischen Wunden Probleme ergeben.
Was ist am neuen Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz problematisch?
Im Gesetzesentwurf zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung soll eine neue Definition der Verbandmittel umgesetzt werden, durch die Krankenkassen einige Produktgruppen in Zukunft wohl nicht mehr erstatten. „Je nach Bewertung des Gesetzesentwurfs durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) kann dies zum Beispiel Hydrogele in Gelform, Verbände zur Geruchsreduzierung oder Wunddistanzgitter betreffen, aber auch Produkte zur mechanischen Wundreinigung“, erläutert Björn Jäger, Vorstandsmitglied der Initiative Chronische Wunden e.V. (ICW), im Gespräch mit finanzen.de.
Jäger erklärt, dass die betreffenden Verbandmittel von gesetzlich Versicherten zukünftig privat beschafft werden müssten. „Erneut würden Patienten finanziell belastet und es entfielen gewohnte sowie vor allem wirksame Wundversorgungsprodukte. Im besten Fall muss die Behandlung umgestellt werden. Im schlechtesten Fall wird der Patient nicht mehr optimal versorgt“, kritisiert Jäger.
Herr Jäger, welchen Rat können Sie Patienten mit chronischen Wunden geben, die nun verunsichert sind, ob ihre Verbandmittel weiterhin von der Krankenkasse erstattet werden?
Björn Jäger: Derzeit ist noch nicht ganz klar, welche Produktgruppen aus der Erstattungsfähigkeit herausfallen. Der Gesetzgeber wird den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragen, eine Abgrenzung der erstattungsfähigen Verbandmittel zu erarbeiten. Erst danach wird deutlich, welche Verbandmittel zukünftig nicht mehr erstattet werden. Erster Ansprechpartner für betroffene Patienten und Angehörige bleibt der Arzt, der das Verbandmittel verordnet hat. Im Zweifelsfall sollte die zuständige Krankenkasse eine qualifizierte Aussage zur Erstattung treffen können.
An wen können sich die Patienten oder aber pflegende Angehörige denn wenden, wenn es zukünftig Probleme mit der Kostenerstattung gibt?
Björn Jäger: In erster Linie entscheiden die Krankenkassen über Fragen der Kostenerstattung. Gegen deren Bescheide kann man jedoch Widerspruch einlegen und letztlich vor dem Sozialgericht klagen. Dies ist ein recht langer und beschwerlicher Weg für die Patienten. Unterstützung finden Patienten bei den Sozialverbänden, der Verbraucherzentrale und bei der Patientenberatung der Ärztekammern.
Was sind Hilfsmittel? Was sind Verbandmittel
Zu den Hilfsmitteln gehören beispielsweise Gehhilfen, Hörgeräte, Inkontinenzhilfen und Atemgeräte. Abhängig davon, ob das Hilfsmittel bei einer Erkrankung oder zur Pflege benötigt wird, zahlt die Kranken- oder die Pflegekasse die Kosten. Verbandmittel sind hingegen keine Hilfsmittel und fallen damit in das Arzneimittel- und Verbandmittelbudget des Arztes.
In Ihrer Erklärung zusammen mit anderen Verbänden warnen Sie neben Problemen mit der Erstattungsfähigkeit vieler Medizinprodukte auch vor einem Rückschlag bei den Bemühungen, den Einsatz von Antibiotika zu verringern. Wie kann in der Behandlung von Wundpatienten an Antibiotika gespart werden?
Björn Jäger: Bei chronischen Wunden kann es – nicht selten übrigens – zu Infektionen kommen. Ist eine Wundinfektion aufgetreten, muss diese bekämpft werden. Lokal werden Wundantiseptika eingesetzt. Je nach Ausprägung der Infektion kann es systemisch jedoch notwendig sein, Antibiotika einzusetzen. Hier kommt der Wundreinigung mit antiseptischen Lösungen und gründlicher Entfernung von Belägen eine erste Schlüsselrolle zu. Getreu dem Motto „Vorbeugen ist besser als heilen“ helfen bestimmte Produkte in der Wundversorgung, die Keimbesiedlung in chronischen Wunden zu reduzieren und somit einer Infektion nach Möglichkeit vorzubeugen. Dadurch kann die systemische Gabe von Antibiotika deutlich reduziert beziehungsweise vermieden werden.
Kommt Ihres Erachtens die Gesetzgebung und damit auch indirekt die Erstattungspraxis der Krankenkassen mit den Neuerungen im Bereich der Wundversorgung mit?
Björn Jäger: Der Gesetzgeber reagiert auf Veränderungen in der Gesellschaft eher schleppend, da eine Gesetzesänderung viel Zeit beansprucht. Dies zeigt sich in dem vorliegenden Entwurf. Bislang stehen viele veraltete Produkte auf der Liste der verordnungsfähigen Produkte. Es sind neue Produkte und Produktgruppen in der Wundversorgung dazugekommen, die nicht gelistet sind. Insofern ist der Grundgedanke der Definition und Neuordnung der Produkte für die Wundversorgung durchaus positiv zu bewerten.
Wichtig ist, dass bewährte Produktgruppen nicht aus der Erstattungsfähigkeit herausgefiltert werden. In der Gesetzesvorlage wird definiert, welche Eigenschaften die künftig erstattungsfähigen Produkte haben. Bei der noch folgenden Abgrenzung und Bewertung der Verbandmittel durch den G-BA kommt es darauf an, bewährte und notwendige Produkte der Wundversorgung mit in die Liste aufzunehmen, um eine phasengerechte Wundversorgung zu gewährleisten. Die ICW e.V. hat auf diesem Gebiet eine sehr gute Expertise und bietet gern ihre Unterstützung an.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Jäger!
Das Interview führte Juliane Wellisch.