Sichere Radwege: Spürbare Veränderungen nur über immensen Druck
Berlin hat erfolgreich vorgemacht, was passiert, wenn sich Bürger für eine bessere Radverkehrspolitik einsetzen. Auch in anderen Städten wie Darmstadt wurden Initiativen gegründet, um die Sicherheit von Radlern zu verbessern. Zwar bleibt das dortige Bürgerbegehren vorerst an einer wichtigen Hürde hängen. Einen entscheidenden Teilerfolg hat der Radentscheid Darmstadt jedoch schon erreicht.
Veröffentlicht am 17. Juli 2018
Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei mehr als 46.000 Unfälle, an denen ein Autofahrer und ein Radler beteiligt waren. Die Ursachen für die Zusammenstöße sind vielfältig. Eine davon ist, dass es in vielen Städten für Radfahrer zu wenig Platz auf den Straßen gibt beziehungsweise sichere Radwege in der Verkehrsplanung zu wenig berücksichtigt werden.
So verwundert es nicht, dass sich immer mehr Initiativen für ein Plus an Sicherheit auf den städtischen Radwegen einsetzen. Dazu gehört auch der Radentscheid Darmstadt. Er muss nach einer sehr erfolgreichen Unterschriftenaktion zwar einen Rückschlag auf dem Weg zum geforderten Bürgerbegehren hinnehmen. Im Interview mit finanzen.de erklärt Mit-Initiator David Grünewald, wieso es sich dennoch bereits ausgezahlt hat, Druck auf die Verantwortlichen auszuüben.
Für ein Bürgerbegehren haben Sie rund 3.500 Unterschriften gebraucht, gesammelt haben Sie über 11.000. Ihr Ziel, Darmstadts Radwege sicherer und bequemer zu machen, trifft somit auf großen Zuspruch. Was war die schönste Reaktion, an Sie sich erinnern?
David Grünewald: Mir hat besonders gefallen, dass sich viele Familien mit Kindern der Unterschriftensammlung und der Bewegung als Ganzes angeschlossen haben. Geschützte Radwege helfen Kindern in die Eigenständigkeit und bedeuten Freiheit. Kinder können so selbst zur Schule, zu Freunden, zu Hobbies und allen Orten in der Stadt gelangen, an denen sie gerne sind.
Auf welche negativen Stimmen sind Sie bei Ihrer Unterschriftenaktion gestoßen, etwa von Autofahrern?
David Grünewald: Für uns ist eine Unterscheidung in Autofahrer, Fußgänger, Radfahrer, ÖPNV-Nutzer nicht zielführend. Die meisten Menschen nutzen alle möglichen Verkehrsmittel abwechselnd, sie sind schlicht Mobilisten. Allen gemein ist, dass sie sicher ankommen wollen.
Häufig haben wir den Frust vernommen, dass trotz jahrelanger kommunaler Regierung unter Führung von Bündnis 90/Die Grünen und einem radelnden Oberbürgermeister nicht viel für die Themen Fahrrad und Fußverkehr passiert ist. Wir kamen also letztlich genau zur richtigen Zeit, um diesem Frust eine Stimme zu verleihen.
Trotz der erfolgreichen Unterschriftenaktion hat der Darmstädter Magistrat das angestrebte Bürgerbegehren für unzulässig erklärt. Was bedeutet die Entscheidung für Ihr Ziel, Darmstadt für Radler sicherer zu machen?
David Grünewald: Der Magistrat sieht lediglich Mängel in unserem Finanzierungsvorschlag, inhaltlich sowie von der Zahl der Unterschriften sind wir gut aufgestellt. Zunächst muss diese Entscheidung über die Unzulässigkeit von der Stadtverordnetenversammlung bestätigt werden. Dann legen wir Rechtsmittel ein, um die Zulässigkeit zu erreichen.
Sollten diese keinen Erfolg haben und auch Verhandlungen nicht zu einem tragfähigen Konsens führen, sind wir bereit, die Unterschriftenkampagne mit einem verbesserten Finanzierungsvorschlag zu wiederholen.
Zwar fiel die Entscheidung des Magistrats negativ aus. Gleichzeitig kündigte er jedoch ein „Sonderprogramm Investition Radverkehrsförderung 4×4 Rad“ an. Durch dieses sollen in den nächsten vier Jahren jeweils zusätzlich vier Millionen Euro in den Radverkehr fließen. Sehen Sie dies als Teilerfolg Ihrer Initiative an?
David Grünewald: Absolut! Ohne unseren Druck hätten wir das Thema Rad- und Fußverkehr nie so hoch auf die Agenda setzen können. Die Magistratsvorlage enthält auch einen Beschluss, mit uns Verhandlungen über die Umsetzung der Ziele des Radentscheids zu führen.
Wenn wir uns mit Qualität durchsetzen können, sehen wir in dem zusätzlich bereitgestellten Geld und den vier zusätzlichen Stellen für Verkehrsplaner*innen sehr viel Potential. Für uns haben dabei die mindestens 2,30 Meter breiten und vom Kraftverkehr geschützten Radwege sowie geschützte Kreuzungen eine hohe Bedeutung
Wichtig ist zudem, uns mit der Stadt darauf zu einigen, dass die Kosten für eine Maßnahme klar aufgeschlüsselt und eine sanierte Straße nur mit den für den Radverkehrsteil anfallenden Kosten auf die jährlichen vier Millionen Euro angerechnet werden. Sonst versinkt das Geld schnell in einer großen, ohnehin anstehenden Sanierungsmaßnahme und wir bleiben hinter unseren Möglichkeiten zurück.
Was ist in Ihren Augen der wichtigste Punkt, den Darmstadt beim Radverkehr schnellstmöglich besser machen sollte?
David Grünewald: Besonderes Augenmerk sollte auf den Kreuzungen in der Bismarckstraße liegen, auf denen im November 2017 innerhalb von weniger als einer Woche ein Radfahrer und eine Radfahrerin jeweils von einem rechts abbiegenden Lkw tödlich überfahren wurden.
Es ist für uns ein politischer Skandal, dass an den Kreuzungen bis heute keinerlei neue Schutzmaßnahmen wie aufgeweitete Aufstellflächen, geänderte Ampelschaltungen oder Trixi-Spiegel angebracht wurden. Es ist nicht auszudenken, welcher Druck auf der Verkehrsdezernentin sowie dem Oberbürgermeister lastet, wenn dort wieder ein vergleichbarer Unfall passieren sollte, und wie man das den Hinterbliebenen erklären soll.
Laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) sind 2018 bundesweit bereits 23 Radfahrer bei Abbiegeunfällen tödlich verunglückt. Verkehrsminister Scheuer setzt sich derzeit für einen freiwilligen Einbau von Abbiegeassistenten bei Lkws ein, die solche Tragödien verhindern könnten. Sollte sich die Politik noch stärker für Hilfesysteme einsetzen?
David Grünewald: Abbiegeassistenten sollten gesetzliche Pflicht werden und zwar in Neufahrzeugen wie im Bestand als Nachrüstung. Kleine Speditionen könnten gegebenenfalls Fördermittel für eine Nachrüstung erhalten.
Gleichzeitig sollte aber auch die Wegeführung im Zuge der amtlichen Verkehrsschau, spätestens jedoch nach schweren Unfällen geändert werden. Es gibt viele erprobte Konzepte, die dem Stand der Technik entsprechen und den Behörden bekannt sind. Sie müssen auch angewendet werden. Dazu fehlt im Moment das Verantwortungsbewusstsein in Verwaltung und Politik.
Nicht nur an Kreuzungen kann es für Radfahrer brenzlig werden. Welche Tipps haben Sie für Radler aus der Praxis, um Unfälle im Allgemeinen zu vermeiden?
David Grünewald: Es bringt nichts, sich auf der Straße mit anderen Verkehrsteilnehmenden zu streiten, wenn die Gestaltung der Wege den Konflikt vorzeichnet. Wer regelmäßig an derselben Stelle in gleich gelagerte Szenarien verwickelt wird, sollte unbedingt an seine Radverkehrsbeauftragte oder seinen Radverkehrsbeauftragten bei der Stadtverwaltung schreiben.
Wir haben leider gelernt, dass spürbare Veränderungen nur über immensen Druck erreicht werden können. Wenn sich keine Lösung durch eine Änderung der Verkehrsführung auf dem kurzen Dienstweg erreichen lässt, sollten Radler die Öffentlichkeit über die Presse, die Verbände wie ADFC sowie Verkehrsclub Deutschland und die politischen Parteien im Stadtparlament suchen. Oder sie gründen direkt einen Radentscheid für ihre Stadt. Wir sind dabei gerne behilflich.
Vielen Dank für das Interview, Herr Grünewald.