Verkehrsminister Scheuer legt Fußgängern nur Steine in den Weg
E-Scooter gehören in einigen europäischen Ländern bereits zum alltäglichen Straßenbild. Auch in Deutschland könnte es bald soweit sein. Doch der Plan des Verkehrsministers stößt auf große Gegenwehr. Durch sie könnte der Bürgersteig für Fußgänger noch gefährlicher, warnt Roland Stimpel von FUSS e.V.
Veröffentlicht am 7. Mai 2019
Jedes Jahr verunglücken rund 30.000 Fußgänger im Straßenverkehr. Die meisten von ihnen kommen zwar mit leichten Verletzungen davon. Doch in manchen Fällen zieht der Unfall schwere Folgen bis hin zum Tod nach sich. Ab Sommer könnte die Unfallgefahr sogar noch zunehmen. Denn falls der Bundesrat die vom Verkehrsministerium geplante Zulassung von E-Scootern beschließt, dürfen die elektrischen Tretroller zum Teil auch auf Gehwegen fahren. Allerdings denkt das Ministerium aktuell über ein Verbot auf Gehwegen nach, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet.
Schon jetzt sind Gehwege viel zu eng für Fußgänger, da sie als Resterampe missbraucht werden, mahnt Roland Stimpel. finanzen.de hat mit dem Vorstand vom Fachverband Fußverkehr Deutschland (FUSS e.V.) über E-Mobilität, Verkehrsminister Scheuer und europäische Vorreiter gesprochen.
Mitte Mai wird sich der Bundesrat mit der Zulassung von E-Scootern auf Geh- und Radwegen befassen. Schon jetzt werden jedes Jahr Tausende Fußgänger im Straßenverkehr verletzt. Ist zu befürchten, dass es für sie mit den E-Scootern noch gefährlicher wird?
Roland Stimpel: Wenn E-Scooter auf Gehwegen zugelassen werden, wird es auf jeden Fall gefährlicher. In Spanien gab es schon nach kurzer Zeit den ersten tödlichen Unfall auf dem Gehweg. Eine junge Frau hatte beim Fahren auf ihr Handy gestarrt. Dort und auch in Österreich wurden die Roller wieder vom Gehweg verbannt.
Auf Radwegen und Fahrbahnen dagegen sind E-Scooter etwa so schnell wie Fahrräder und für Fußgänger nicht gefährlicher.
Stellt die E-Mobilität allgemein eine Gefahr für Fußgänger dar, etwa wegen der deutlich leiseren Fahrgeräusche?
Roland Stimpel: Nicht grundsätzlich. Sie kann sogar die Sicherheit erhöhen, wenn statt Autos E-Scooter fahren. Denn sie sind viel langsamer und damit ungefährlicher. Wird ein Fußgänger von einem Auto mit 50 km/h gerammt, liegt die Todeswahrscheinlichkeit nach Dummy-Tests bei 36 Prozent. Schon bei Autotempo 30 km/h sinkt sie auf neun Prozent, bei E-Scootern mit 20 km/h wäre sie noch geringer.
In Berlin gilt seit einiger Zeit das Mobilitätsgesetz, das auch einige Maßnahmen für den Fußverkehr vorsieht. Bundesweit scheinen Fußgänger dagegen politisch kaum Berücksichtigung zu finden. Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode?
Roland Stimpel: Der Verkehrsminister ist ein Totalausfall. 80 Millionen Menschen in Deutschland gehen mehr oder weniger oft zu Fuß. Andreas Scheuer legt ihnen nur Steine, sprich Elektroroller in den Weg. Sehr aktiv ist aber das Umweltbundesamt mit seiner schönen Broschüre „Geht doch“ und mit Finanzmitteln für Städte, die etwas für ihre Fußgänger tun.
Was ist die wichtigste Maßnahme, die die Politik aus Ihrer Sicht für einen besseren, sicheren Fußverkehr umgehend umsetzen müsste?
Roland Stimpel: Das wichtigste wäre, generell Tempo 30 in Städten und Dörfern, 50 km/h nur als Ausnahme, wo Fußgänger und Radfahrer nicht gefährdet werden. Das senkt das Tötungsrisiko bei Unfällen um über 80 Prozent. Hunderte von Menschenleben könnten so jedes Jahr gerettet werden.
Außerdem wird es leiser, die Luft wird sauberer und Fußgänger kommen leichter über die Fahrbahn. Auch Autofahrer haben weniger Stress. Ihr Zeitverlust ist minimal – oft kommt man nur etwas später an der nächsten roten Ampel an.
Ihren Verein gibt es schon seit mehr als 30 Jahren. Hat sich die Situation für Fußgänger auf den Gehwegen in dieser Zeit tendenziell verbessert oder verschlechtert?
Roland Stimpel: Trotz aller Mühe leider eher verschlechtert. Alle drängen auf die Gehwege und missbrauchen sie als Resterampe: parkende Autos, Radfahrer, Leihräder, Kneipen- und Ladenbesitzer, die Aufsteller von Stromkästen, Parkautomaten, Schildern und Masten.
Auch die Ampelschaltungen sind nicht besser geworden. Allzu oft haben Fußgänger und gleichzeitig Fahrer von der Querstraße Grün. Allein in Berlin kommen vor allem durch solche Abbieger jedes Jahr etwa 500 Fußgänger zu Schaden.
Gibt es Länder, die Fußgänger an erste Stelle setzen?
Roland Stimpel: In den Metropolen von drei Nachbarländern ist es besser:
- Wien hat große Geschäftsstraßen autofrei gemacht.
- Zürich hält konsequent die Gehwege frei.
- Paris sorgt mit hohen Bußgeld-Drohungen dafür, dass fast niemand auf den Fußgänger-Promenaden parkt oder Rad fährt.
In all diesen Städten freut sich auch der Einzelhandel: Fußgänger nehmen Geschäfte und ihre Schaufenster am besten wahr und gehen am häufigsten spontan hinein. Je mehr Leute entspannt und genussvoll auf einer Straße laufen, desto mehr Umsatz machen die Händler.
Vielen Dank für das Interview, Herr Stimpel.