Telemedizin

Videosprechstunde: Telemedizin auf dem Vormarsch 

  • Angst vor Corona-Virus treibt Videosprechstunde voran
  • Die Entwicklung der Videosprechstunde
  • Behandlungen ab jetzt nur noch online?

Alina Hesse – Referentin Health & Pharma beim Bitkom e.V.

Katharina Jünger – Gründerin & CEO von Teleclinic

David Meinertz – Der Gründer und CEO von Zava

Dr. Florian Weiß – Geschäftsführer & CEO Jameda

Dr. Daniel Schneider – General Manager Deutschland von KRY

Telemedizin im Fokus: Unsere Themen

Als Telemedizin werden verschiedene ärztliche Versorgungskonzepte bezeichnet, die über eine räumliche Entfernung (oder zeitversetzt) mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien durchgeführt werden. Diese beinhalten medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen

  • Diagnostik,
  • Therapie
  • Rehabilitation und
  • bei der ärztlichen Entscheidungsberatung.

Die Telemedizin umfasst natürlich auch die behandlungsbezogene Zusammenarbeit von Angehörigen der Heilberufe untereinander, im Folgenden steht allerdings der Patient und die Videosprechstunde im Fokus.
Was es alles braucht, um eine umfassende Videosprechstunde durchzuführen, zeigt die folgende Grafik:

Videosprechstunde: Telemedizin auf dem Vormarsch

Die Vor- und Nachteile der Telemedizin zusammengefasst

Die Videosprechstunde im Aufschwung

Digitalisierung als Chance für unser Gesundheitssystem

Laut einer aktuellen Bitkom Studie aus dem Juli 2020 sehen 57 Prozent der Deutschen die Digitalisierung als eine große Chance für unser Gesundheitssystem. Sogar 65 Prozent sind der Meinung, dass Patienten durch digitale Angebote aufgeklärter und informierter sind.

Die Digitalisierung ist aus dem Gesundheitswesen nicht mehr wegzudenken. Ob beim Erkennen von Krankheiten, bei der Therapie oder bei der Kommunikation zwischen Arzt und Patient: Digitale Technologien bergen ein großes Potenzial und sorgen für eine bessere und effizientere Versorgung. Zugleich ringt der Gesundheitsmarkt mit einer Vielzahl an Herausforderungen: Eine alternde Gesellschaft, Fachkräftemangel, Pflegenotstand und hoher Kostensenkungsdruck erschweren eine gerechte, flächendeckende und wirksame Versorgung

Alina Hesse, Referentin Health & Pharma beim Bitkom e.V.

13 Prozent der Befragten haben schon mal eine Videosprechstunde genutzt. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es nicht einmal halb so viele. Allerdings: “Die Nutzung von Videosprechstunden ist während der Corona-Pandemie stark gestiegen und die Nachfrage auf Seiten der Patienten so hoch wie noch nie”, erläutert Alina Hesse.

Hinzu kam der Abbau regulatorischer Vorschriften. “Vor der Corona-Pandemie durfte ein Arzt maximal jede fünfte seiner Sprechstunden als Videosprechstunde anbieten. Jede weitere Telesprechstunde ging auf Kosten des Arztes. Wichtig ist jetzt, dass die Schranken auch künftig nicht wieder hochgezogen werden! Das würde sich weder den Patienten noch den Ärzten erschließen”, mahnt Hesse.

Aus welchem Grund haben Sie die Videosprechstunde genutzt?
  • Aus Angst vor einer Infektion mit dem Corona-Virus beim Arzt - 85%
  • Um möglichst schnell ärztlichen Rat zu erhalten - 54%
  • Aus Sorge, ich könnte mich im Wartezimmer mit einer anderen Krankheit anstecken - 41%
  • Um Wartezeiten zu vermeiden - 38%
  • Aus Bequemlichkeit - 35%
  • Um Fahrtzeit zu vermeiden - 29%
  • Aus Neugier - 26%

Quelle:

Digital Health (Bitkom Studie 09.07.2020)

Auch wenn der Hauptgrund für die Videosprechstunde – die Corona-Pandemie – kein erfreulicher ist, sind die Erfahrungen der Patienten fast durchweg positiv. 45 Prozent haben sehr gute und 42 Prozent haben gute Erfahrungen gemacht. 91 Prozent der Befragten würden die Videosprechstunde an Freunde und Familie weiterempfehlen, 80 Prozent äußern den Wunsch, das Angebot weiter auszubauen.

Hier tut sich bereits einiges. So sind Gesundheits-Apps, die elektronische Patientenakte und das E-Rezept keine Zukunftsmusik mehr.

Ausblick

Die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass die Menschen den digitalen Entwicklungen im Gesundheitsbereich offen gegenüberstehen. 65 Prozent fordern sogar mehr Tempo beim Ausbau digitaler Angebote in der Medizin. Dazu muss der Wirtschaftsstandort Deutschland aber auch für Forschung und Entwicklung attraktiver gemacht werden, fordert Alina Hesse. “Wir brauchen daher einen fairen Wettbewerb, um Innovation im Gesundheitswesen auch langfristig zu fördern.” Wichtig ist zudem, dass “digitale Arztbesuche mit der Versorgung vor Ort gleichgestellt werden und in die vollumfängliche Regelversorgung aufgenommen werden.”


Marktmeinungen unserer Telemedizin-Experten

Um einen umfassenden Überblick über aktuelle Entwicklungen am Markt für Videosprechstunden zu erhalten, haben wir vier der marktführenden Anbieter zur Entwicklung am Markt interviewt.

Die Entwicklung der Videosprechstunde

Mit der Zulassung der Fernbehandlung 2018 auf dem 121. Deutschen Ärztetag wurde der Grundstein für Videosprechstunden in Deutschland gelegt. Vorerst konnten die Sprechstunden aus der Ferne allerdings nur sehr begrenzt eingesetzt werden:

  • Nur jeder fünfte Patient darf per Video behandelt werden
  • Lediglich 20 Prozent der Leistungen der Ärzte dürfen über die Videosprechstunde durchgeführt werden

Neben weiteren Einschränkungen war auch die Kostenübernahme durch die Krankenkasse anfangs nur bei den privaten Krankenversicherungen ohne einschränkungen möglich.

Mit Beginn der Corona-Pandemie wurden diese Einschränkungen jedoch aufgehoben – vorerst bis Ende September. Seit dem steigen die Zahlen der Video-Termine rapide an. Doch um die Videosprechstunde langfristig zu etablieren, sind noch einige Hürden zu überwinden.

In den ersten Jahren haben wir viel Überzeugungsarbeit geleistet. Als TeleClinic 2015 gegründet wurde, waren Fernbehandlungen noch nicht zugelassen und es gab viele Vorbehalte gegenüber der Idee, die zum Beispiel in den USA und Skandinavien weit verbreitet war. Außerdem mussten wir natürlich auch die Plattform entwickeln, die allen Bedürfnissen (vor allem Datensicherheit, usability für Ärzte, Patienten und Apotheker) auf höchstem Standard nachkommt.

Was der Telemedizin in Deutschland aktuell in erster Linie noch fehlt, ist die Bekanntheit – die Corona-Pandemie war in dieser Hinsicht ein Katalysator und hat vielen die Möglichkeiten und Vorteile von Video-Sprechstunden erst vor Augen geführt. Mittlerweile können sich – so die Ergebnisse einer aktuellen Befragung – rund die Hälfte der befragten Deutschen die Nutzung von Video-Sprechstunden vorstellen

Herausforderungen, mit denen wir uns konfrontiert gesehen haben und weiterhin sehen, ist dass zehntausende Ärzte und Millionen von Patienten den Umgang mit Telemedizin, insbesondere mit Videosprechstunden, zunächst einmal lernen müssen.

Aktuell stehen wir in Deutschland vor der Herausforderung, viele einzelne digitale Gesundheitsanwendungen und telemedizinischen Leistungen zu einer zeitgemäßen und ganzheitlichen Patientenversorgung zusammenzuführen. Die Videosprechstunde ist zum Beispiel eine echte Entlastung für Patienten und das Gesundheitssystem, für sich stehend deckt sie aber nur einen kleinen Teil des Patientenpfads ab. Vernetzung ist die Zukunft, hier ist auch die Politik weiterhin gefragt.

Behandlungen ab jetzt nur noch online?

Alle Befragten sind sich einig, dass die Videosprechstunde kein Ersatz für die Behandlung beim Arzt vor Ort ist , sondern vielmehr eine sinnvolle Ergänzung dazu bieten. Hierfür ist es maßgeblich notwendig, die richtige Infrastruktur zu schaffen. Für einen unkomplizierten Austausch zwischen Ärzten und Patienten ist die elektronische Patientenakte ein wichtiger Schritt, den es umzusetzt gilt. Ab 2021 ist es soweit, alle gesetzlich Versicherten können eine elektronische Patientenakte (ePA) von ihrer Krankenkassen erhalten.

Auch die E-Krankschreibung und das E-Rezept werden die digitale Behandlung von Patienten deutlich vereinfachen. Das E-Rezept ist bereits im Patientendaten-Schutzgesetz für den Januar 2021 vorgesehen. Die E-Krankschreibung ist erst für 2022 geplant. Zusätzlich wird die Verschreibung von Gesundheits-Apps genannt. Hier verbirgt sich noch großes Potenzial, das mit einheitlichen Regularien und einer Verschreibung durch den Arzt zu mehr Vertrauen unter den Patienten führen wird.

Großer Zuspruch für digitale Kanäle

Auch bei der Entwicklung der Nutzerzahlen sind sich die Experten einig. Die Corona-Pandemie hat für einen sprunghaften Anstieg von virtuellen Patiententerminen geführt. Laut der “Healthcare Interactions“ – Umfrage von PwC Strategy& haben sich die Nutzerzahlen sehr positiv entwickelt.

Prozent
Vor Beginn der Pandemie
Prozent
Seit Beginn der Pandemie
Prozent
in 12-18 Monaten

Quelle: Healthcare Interactions“ – Umfrage (PwC Strategy& Juli 2020)

Laut der Prognose von PwC Strategy& wird sich die Nutzung von virtuellen Patiententerminen in den kommenden anderthalb Jahren im Vergleich zur Situation vor der Pandemie fast verdoppeln.

  • “Im Durchschnitt geht jeder Deutsche zehnmal im Jahr zum Arzt. Mittelfristig gehe ich davon aus, dass drei oder vier dieser Vor-Ort-Besuche telemedizinisch stattfinden werden. Das ist auch nötig, um die Qualität unseres Gesundheitssystems, für die wir international beneidet werden, langfristig aufrechtzuerhalten.”
    David Meinertz, ZAVA
  • “Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine Zeitenwende in der medizinischen Versorgung erleben. Wir müssen gar nicht bis zum Jahr 2025 warten, ich gehe davon aus, dass schon Ende dieses Jahres noch mehr Menschen ganz selbstverständlich die Videosprechstunde nutzen werden.”
    Katharina Jünger, Teleclinic
  • “Die Telemedizin wird 2025 fester Bestandteil in der Arzt-Patienten-Beziehung werden und somit dem New Normal angehören. Videosprechstunden werden sich dauerhaft als veritable zweite Behandlungsalternative durchsetzen.”
    Dr. Florian Weiß, jameda
  • “Videosprechstunden werden das Behandlungsangebot ergänzen, um das Potenzial der Digitalisierung auszuschöpfen. Telemedizin hilft, Arztbesuche zu vermeiden, wenn keine körperliche Behandlung nötig ist. Die Praxen werden dadurch entlastet und können sich um diejenigen Patienten kümmern, die eine Vor-Ort-Behandlung benötigen. Wir sind uns somit sicher, dass telemedizinische Beratungsleistungen in der Zukunft als ein selbstverständlicher Baustein des ärztlichen Portfolios etablieren werden.”
    Dr. Daniel Schneider, KRY

Einer muss den Anfang machen

Aller Anfang ist schwer heißt es sprichwörtlich. So auch bei der Videosprechstunde in Deutschland. Hier waren die privaten Krankenversicherungen sehr früh mit der Übernahme der Kosten dabei. Die Nutzung des Angebots war daher für gesetzlich Versicherte nur bedingt attraktiv. Aus Sicht der Ärzte und auch der Anbieter war es allerdings notwendig, dass die Kosten zumindest vonseiten der PKV übernommen wurden, um Investitionen in die Aufrüstung für Videosprechstunden wirtschaftlich zu rechtfertigen. Darum haben wir Dr. Florian Reuther, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, nach seiner Einschätzung der aktuellen Entwicklungen befragt.

Telemedizin im Aufwind

“Video-Sprechstunden werden sich vermutlich auch nach der Corona-Krise als probates Behandlungsmittel behaupten, denn die Akzeptanz in der Bevölkerung dafür ist über alle Generationen hinweg hoch: Unter denen, die bislang noch keine Video-Sprechstunde wahrgenommen haben, kann sich jeder Zweite vorstellen, künftig auch online zum Arzt zu gehen. Viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte haben in den letzten Monaten auf dieses hohe Interesse und das Fernbleiben ihrer Patienten reagiert und bieten jetzt ebenfalls telemedizinische Behandlung an. Dabei profitieren sie auch von den Angeboten diverser Videodienstanbieter, die zunächst nur den Versicherten in der privaten Krankenversicherung (PKV) offenstanden.

Private Krankenversicherung als Innovationstreiber

Digitale Behandlungsmöglichkeiten wie Videosprechstunden wären ohne das Vorangehen der PKV heute nicht in dem Umfang verfügbar. Im deutschen Gesundheitssystem übernimmt die PKV die Rolle eines Innovationsmotors. Medizinische Neuerungen werden nach amtlicher Freigabe direkt erstattet und gelangen somit zügig in die Versorgung. So entsteht ein Versorgungswettbewerb zwischen der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), von dem letztlich alle Versicherten profitieren.

In der Telemedizin gehörte die PKV in diversen Pilotprojekten zu den Unterstützern der ersten Stunde und erstattete diese Leistung für ihre Versicherten. Von diesen Kooperationen mit privaten Krankenversicherern profitieren die Telemedizin-Startups nicht nur finanziell: Sie konnten so auch wichtige Erfahrungen sammeln, Qualitätsstandards überprüfen und ihr Angebot nach den Bedürfnissen von Patienten und Ärzten anpassen. Dadurch konnte die Telemedizin in Deutschland Fuß fassen, was inzwischen auch den gesetzlich Versicherten zugutekommt.

So wirkt die PKV als Türöffner fü medizinische Innovationen – was am Ende gut für alle ist. Das sind ganz konkrete positive Wirkungen des dualen Gesundheitssystems, mit dem Deutschland auch schon vor der Krise – und erst recht mitten drin – erwiesenermaßen sehr gut gefahren ist.”

  • Foto-Dr.-Florian-Reuther-(PKV)

    Dr. Florian Reuther

    Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung

Quellen

Datengrundlage

  • „Healthcare Interactions“ – Umfrage (PwC Strategy& Juli 2020) 
  • Digital Health (Bitkom Studie 09.07.2020)

Interviews