
Corona rüttelt am Vertrauen in Bargeld – ist die Zukunft bargeldlos?
Birgt Bargeld ein mögliches Ansteckungsrisiko für Corona? Unter Gesundheitsexperten bleibt dies umstritten. Aktuelle Positionen sowie die Frage, ob die aktuelle Krise nun das Ende des Bargeldes bedeuten könnte, klärt finanzen.de!
Veröffentlicht am 20. März 2020
War die Abschaffung des Bargeldes noch vor Kurzem ein ferner Schritt, von dem in Deutschland höchstens FinTech-Unternehmen oder die Werbeindustrie träumten, scheint die Bargeldbegeisterung der Deutschen in der Corona-Krise deutlich getrübt. Während man hierzulande vor einem Monat mit dem geliebten Cash noch ganz normal umging, wurde in China schon Bargeld weggeschlossen, desinfiziert und sogar nachgedruckt.
Saeid Namaki, Gesundheitsminister im stark vom Coronavirus betroffenen Iran, rief bereits Anfang März seine Bevölkerung dazu auf, Bargeld zu meiden, um das Infektionsrisiko zu senken. Und auch die US-Notenbank Federal Reserve hat vor Wochen begonnen, Dollarnoten, die aus Asien in die USA gelangen, für etwa eine Woche unter „Quarantäne” zu stellen.
Coronavirus: Wie hoch ist das Risiko einer Ansteckung übers Bargeld?
Die Frage nach dem Ansteckungsrisiko durch den Umgang mit Bargeld lässt sich nicht leicht beantworten, da selbst Gesundheits- und Finanzexperten geteilter Meinung sind. Vorletzte Woche hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegenüber britischen Medien noch vor der Übertragung von Coronaviren über Geldscheine gewarnt, da diese ein Nährboden für das Covid-19 sein könnten. Kurz darauf dementierte die WHO diese Äußerungen jedoch gegenüber MaketWatch, man wäre „falsch dargestellt” wurden. Tatsächliche meinte die WHO nur, dass es eine gute Hygienepraxis sei, sich nach der Berührung mit Bargeld die Hände zu waschen, bevor man isst.
Laut dem New England Journal of Medicine ermittelten US-Forscher kürzlich, dass die Lebensfähigkeit des Coronavirus auf Pappe einen Tag, auf Kupferoberflächen bis zu vier Stunden betrage – Münzen und Geldscheine selbst wurden allerdings nicht untersucht.
Ansteckung über Bargeld bleibt umstritten
Auch aus der Schweiz meldete sich letzte Woche ein Virologe mit Bedenken. Mark Witchi, Leiter der Sektion Impfempfehlung und Bekämpfungsmaßnahmen im Schweizer Bundesamt für Gesundheit, erklärte gegenüber der Wirtschaftswoche: „Viren auf Banknoten können eine Gefahr darstellen, wenn man sich nach dem Anfassen nicht die Hände wäscht und ins Gesicht greift.“
Er hatte 2008 an einer großangelegten Studie zur Überlebensfähigkeit von Viren auf Schweizer Banknoten mitgewirkt und dabei herausgefunden, dass Influenza-Viren 17 Tage darauf überleben können. An der Beschaffung der Banknoten habe sich nichts geändert, die Ergebnisse gelten daher weiter, so Witchi. Deutsche Banknoten sind den Schweizer Banknoten von der Beschaffenheit sehr ähnlich. „Kontaktloses Bezahlen halte ich unter den aktuellen Umständen für keine schlechte Idee“, so der Schweizer.
Warum halten zahlreiche Virologen die Bargeld-Übertragung dennoch für unwahrscheinlich?
Infektiologe René Gottschalk, Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt am Main und Berater der WHO, gab auf der Pressekonferenz der Deutschen Bundesbank am Dienstag Entwarnung. Seiner Ansicht nach sind Geldscheine nicht geeignet, um Corona-Viren zu übertragen. Anders als beispielsweise beim Novovirus, der sich über Schmierinfektion verbreitet und so über Türklinken und ähnliches übertragen werden kann, wird Covid-19 über Tröpfchen-Infektion verbreitet. Das heißt, Niesen, Husten oder auch Sprechen ist nötig, damit die Viren in den Rachenraum eines anderen gelangen können und den Menschen so infizieren. Eine Übertragung über Geldscheine und Schmierinfektion hält Gottschalk für ausgeschlossen: „Wäre das so, dann hätten wir inzwischen schon ganz andere Fallzahlen.“
Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung sieht wegen der „geringen Stabilität der Corona-Viren in der Umwelt“ keine Gefahr durch Schmierinfektionen über Bargeld. Diese Einschätzung teilt auch Charité-Virologe Christian Drosten.
Welche Länder sind schon bald bargeldfrei?
Einige Cafes und Restaurants reagieren trotz der Entwarnung der Experten mit deutlichen Kartenzahlungs-Hinweisen. Vielerorts in „Cash-Schland” scheint es währenddessen unmöglich, auf modernes kontaktloses Bezahlen umzusteigen. Zu sehr hängen die Deutschen an ihrem Bargeld.
In einer Boston Consulting Group Studie von 2019 zur Anzahl bargeldloser Transaktionen pro Kopf landete Deutschland abgeschlagen auf Platz 15. Reist der deutsche Tourist nach Norwegen, muss er sich hingegen häufig auf die Suche nach einem Geldautomaten begeben. Das Königreich belegte in dieser und weiteren Studien den ersten Platz, wenn es ums bargeldlose Bezahlen in Europa geht. Dicht darauf folgen Schweden auf Platz zwei und Dänemark auf Platz drei.
Die Nachrichtenagentur Bloomberg prognostiziert für Schweden ein Ende des Bargeldes 2030. Schon im letzten Jahr nutzte nur noch jeder vierte Einwohner mindestens einmal pro Woche Münzen oder Scheine, nur jede dritte Bank in Schweden gibt überhaupt noch Bares heraus.
Auch in Kenia – für viele überraschend – nutzen 80 Prozent der Mobilfunk-Kunden den mobilen Bezahlservice M-Pesa. Gerade auf dem Land ist der Service der Vodafone-Tochter Safaricom oft die einzige Möglichkeit des Geldtransfers.
Welche Gefahren birgt das Ende des Bargeldes?
Das Bezahlen mit dem Smartphone ist in China angesagter als in jedem westlichen Land. Online-Dienstleister Alipay und WeChat gaben in der Vergangenheit deutliche Rabatte bei mobiler Zahlung. Alipay macht das Bezahlen sogar über den Gesichtsscan und die Handynummer möglich – ein Graus für jeden Datenschutzrechtler. Wirtschaftsmogul Jack Ma, Gründer der Alibaba Group, hat vor China bis 2025 in ein bargeldloses Land zu verwandeln. Selbst Obdachlose nutzen in China bereits seit einigen Jahren QR-Codes, um Spenden von Passanten zu erhalten – etwas, das in Deutschland derzeit nicht vorstellbar wäre.
Viele finden: Das ist auch richtig so. Denn der sogenannte “gläsernde Bürger” könnte bei Abschaffung des Bargeldes umso mehr Realität werden. Bei Kartenzahlung wird anders als bei der Barzahlung jede Transaktion gespeichert und ist so grundsätzlich verfügbar. Gegner der Bargeldabschaffung fürchten zudem zunehmende Transaktionssteuern, Geldentwertung oder auch die schleichende, indirekte Enteignung der Bürger durch Negativzinsen. Schließlich hätten gerade Zentralbanken ein Interesse an niedrigen oder Negativzinsen zum Abbau der Schuldenlast, doch diese greifen auch Sparguthaben der Bürger an. Auf kurze Sicht erscheint die Abschaffung des Bargeldes in Deutschland unwahrscheinlich, so die verbreitete Expertenmeinung. Ob die Corona-Krise daran etwas rüttelt, bleibt abzuwarten.