Anja Schlicht
Anja Schlicht

Redaktionsleitung

Ehrenamtliche Arbeit mit viel Hingabe: Mehr Anerkennung erforderlich

Laut Familienministerium sind mehr als 40 Prozent der Deutschen ehrenamtlich tätig, ob als Trainerin im Verein, Rettungssanitäter oder Blutspender. Doch auch wenn die Politik das Ehrenamt gestärkt hat, „sollte in der Gesellschaft die Wertigkeit von ehrenamtlicher Betätigung noch deutlicher betont werden“, fordert Regina Radke-Lottermann vom DRK Landesverband Berliner Rotes Kreuz e.V.

Veröffentlicht am 2. März 2017
Jeden Tag engagieren sich Millionen von Menschen ehrenamtlich. Laut dem Institut für Demoskopie Allensbach gab es 2016 rund 14,36 Millionen Personen mit Ehrenamt in Deutschland. Auf Grundlage des vierten Freiwilligensurveys geht das Bundesfamilienministerium sogar von 31 Millionen Menschen aus, die in ihrer Freizeit ehrenamtlich tätig sind. Den Berliner Rotes Kreuz e.V. unterstützen beispielsweise mehr als 2.000 ehrenamtliche Mitarbeiter, indem sie unter anderem ältere Menschen zu Hause besuchen, Obdachlosen helfen oder nach Personen suchen, die etwa durch eine Katastrophe von ihrer Familie getrennt wurden.

Um ehrenamtlich tätig zu sein, reicht es je nach Aufgabenfeld schon aus, gut mit Menschen auszukommen. In anderen Bereichen ist es dagegen hilfreich, eine bestimmte Fremdsprache zu beherrschen. Aber „an erster Stelle steht die Freude an der Arbeit mit und für Menschen“, sagt Regina Radke-Lottermann, Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Berliner Roten Kreuz. Im Interview mit finanzen.de erläutert sie, welche ehrenamtlichen Tätigkeiten es beim Berliner DRK-Landesverband gibt, welche Bereiche gefragt sind und wie die Politik Ehrenamtliche besser belohnen könnte.

Wie viele Menschen arbeiten derzeit ehrenamtlich für das DRK Berlin?

Frau Radke-Lottermann: In den neun Berliner Kreisverbänden sowie dem Landesverband Berliner Rotes Kreuz und dessen Tochtergesellschaften leisten über 55.000 Mitglieder, 2.300 ehrenamtliche und 1.000 hauptamtliche Mitarbeiter wertvolle Dienste für Hilfebedürftige. Ob in der Flüchtlingshilfe, im Sanitätsdienst, im Katastrophenschutz oder im Rettungsdienst, in Pflegeeinrichtungen und Beratungsstellen, Behindertenhilfe, in der Kinder- und Jugendarbeit sowie im Blutspendedienst – überall nimmt das Deutsche Rote Kreuz gesellschaftlich wichtige und notwendige Aufgaben wahr.

Welche Fähigkeiten müssen Interessierte mitbringen, damit sie ehrenamtlich für das DRK Berlin tätig sein können?

Frau Radke-Lottermann: An erster Stelle steht natürlich die Freude an der Arbeit mit und für Menschen. Ohne die geht es nicht. Darüber hinaus ist Zuverlässigkeit ein wichtiger Faktor, damit das ehrenamtliche Engagement in einer so großen Organisation wie dem DRK überhaupt funktionieren kann. Wenn jemand zusagt, dass er an einem bestimmten Tag zum Beispiel mit unserem Wärmebus rausfährt, um Obdachlosen zu helfen, oder in einer Flüchtlingsunterkunft Kinder aus Willkommensklassen in Deutsch zu unterrichten, dann müssen sich die anderen darauf verlassen können. Krank werden kann jeder einmal, aber nicht zu kommen, weil man sich lieber mit Freunden treffen will, das geht natürlich nicht. Wenn die Ehrenamtlichen darüber hinaus noch zusätzliche Qualifikationen aus ihren Berufen mitbringen, hilft das natürlich.

Aber das hängt auch von dem Bereich ab, in dem man sich engagieren möchte. Beim Kinderkrankenhausbesuchsdienst reicht es beispielsweise, wenn man einen guten Draht zu Kindern hat. Wer sich aber bei der „Internationalen Suche und Familiennachrichten“ engagieren möchte, muss noch mehr Kriterien erfüllen:

  • Belastbar sein
  • Interkulturelle Sensibilität
  • PC- und Social Media-Kenntnisse
  • Fremdsprachen-Kenntnisse (vor allem Arabisch, Farsi und Dari)

Das wichtigste Kriterium ist aber, dass der Interessent auch unter der Woche tagsüber Zeit hat, wenn in den Flüchtlingsunterkünften oder bei uns im Landesverband die Suchaufträge aufgenommen werden – und dass er darüber hinaus Zeit in Ausbildung und Hospitationen investieren möchte.

Gibt es bestimmte Alters- oder Berufsgruppen, die sich besonders häufig für ein Ehrenamt interessieren?

Frau Radke-Lottermann: Das kann man nicht pauschal beantworten. Unseren Wärmebus betreuen zum Beispiel Studentinnen genauso wie Rentner. Und bei der Wasserwacht sind die Jüngsten bei den Juniorrettern, unser ältester Ehrenamtlicher wird im April 100 Jahre alt und gibt immer noch regelmäßig Schwimmunterricht für die Jüngsten, die gerade ihr Seepferdchen machen.

Was wir nur beobachten, ist die Tatsache, dass sich jüngere Menschen oft nicht mehr langfristig für eine Sache engagieren wollen, sondern lieber kurzfristig Zeit und Energie in bestimmte Projekte stecken möchten.

Sind die von Ihnen betreuten Stellen, etwa der Besuchsdienst älterer, alleinlebender Menschen und der Suchdienst, gut mit Ehrenamtlichen versorgt oder gibt es Bereiche, in denen „Not am Mann“ ist?

Frau Radke-Lottermann: Unsere Suchdienst-Teams sind derzeit gut besetzt. Engagierte Leute sind bei uns aber immer willkommen, insbesondere im Sanitätsdienst und Katastrophenschutz sind Ehrenamtliche sehr gefragt. Darüber hinaus besteht Bedarf bei der Versorgung von Obdachlosen des DRK Wärmebusses in Berlin sowie in fast allen Tätigkeitsfeldern des DRK.

Wie sind Ehrenamtliche bei Ihnen abgesichert, wenn sie beispielsweise auf dem Weg zur ehrenamtlichen Tätigkeit einen Unfall haben oder im Zuge ihrer Tätigkeit aus Versehen Dinge oder sogar Personen schädigen?

Frau Radke-Lottermann: Alle Ehrenamtliche sind über die zuständige Unfallversicherung und sonstige Versicherungen versichert.

Die Regierung möchte das Ehrenamt stärken. So wurde 2013 beispielsweise der Ehrenamtsfreibetrag auf 720 Euro pro Jahr erhöht. Was könnte Ihrer Meinung nach die Stadt Berlin oder die Politik im Allgemeinen unternehmen, um das Ehrenamt attraktiver zu machen?

Frau Radke-Lottermann: Seit Anfang des Jahres gibt es die „Ehrenamtskarte Berlin-Brandenburg“. Ehrenamtliche kommen mit ihr günstiger zum Beispiel in Museen und Theater. Dies ist eine Möglichkeit, das Engagement Ehrenamtlicher zu unterstützen. Grundsätzlich muss in der Gesellschaft die Wertigkeit von ehrenamtlicher Betätigung noch deutlicher betont werden. Warum wird ehrenamtliches Engagement beispielsweise nicht mit einem Rentenfaktor bewertet? Schließlich bringen Ehrenamtliche teils erhebliche Zeit in der Woche für andere Menschen auf!

Vielen Dank für das Interview, Frau Radke-Lottermann.