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Gender Pay Gap: Selbst Ärztinnen verdienen weniger als Ärzte

Ärztinnen und Ärzte sind hierzulande nicht gleichgestellt, weiß die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbund e.V., Dr.med. Christiane Groß. So gibt es kaum Ärztinnen in Führungspositionen. Falls ‚Sie‘ doch eine Chefarztposition besetzt, verdient frau oft weniger als ihre männlichen Kollegen. An welcher Stelle der Faktor ‚Gender‘ noch eine Rolle spielt, verrät die Expertin im Interview.

Veröffentlicht am 19. September 2017
Der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen ist in Deutschland kein offenes Geheimnis mehr. Die sogenannte „Gender Pay Gap“ kennen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jedoch besonders aus der freien Wirtschaft. Überall dort, wo nach Tarifverträgen gezahlt wird, fällt das Entgeltproblem automatisch weg. Das ist unter anderem bei angestellten Ärzten der Fall.

Sobald Ärztinnen und Ärzte allerdings in eine Leitungsposition wechseln oder ihre eigene Praxis eröffnen, unterscheidet sich die Entlohnung der Arbeit, kritisiert Dr.med. Groß. Sie weiß, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, um den Arztberuf für Frauen und Männer gerechter zu gestalten. Wie das geht und was das Wort „Gender“ damit zu tun hat, erklärt sie im Interview mit finanzen.de.

Sie setzen sich dafür ein, dass Frauen die gleichen Karrierechancen erhalten wie Männer. Wo sind Ärztinnen benachteiligt und welche Mechanismen könnten dem entgegenwirken?

Dr. med. Christiane Groß: Ärztinnen sind vor allem in Führungs-, chefärztlichen und oberärztlichen Positionen unterrepräsentiert. Es gibt derzeit beispielsweise nur etwa zehn Prozent Chefärztinnen in deutschen Universitätskliniken. In den Berufsgremien wie Ärztekammern oder Kassenärztlichen Vereinigungen sieht es nicht viel besser aus. Dort sind die Entscheider größtenteils männlich. Eine paritätische – also hälftige – Besetzung der Gremien wäre eine große Errungenschaft für die Gleichberechtigung zwischen Ärztinnen und Ärzten.

Der Deutsche Ärztinnenbund e.V. sieht als wirkungsvolle Mechanismen, den ungleichen Karrierechancen entgegenzuwirken, eine bessere Betreuungssituation für die Kinder von Ärztinnen und Ärzten sowie der Möglichkeit, Oberarzt- oder gar Chefarztpositionen in Teilzeit ausüben zu können. Denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hält viele junge Ärztinnen (aber auch Ärzte!) davon ab, die Karriereleiter hinaufklettern zu wollen beziehungsweise zu können.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist jedoch auch heutzutage noch vorwiegend ein „weibliches“ Problem. Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für berufstätige Ärztinnen mit Kind – speziell für jene, die im Schichtdienst arbeiten?

Dr. med. Christiane Groß: Es gibt verschiedene Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder von Ärztinnen und Ärzten, wie etwa Kindertagesstätten, die an Kliniken angeschlossen sind. Diese Krankenhäuser haben dadurch einen enormen Standortvorteil – sind also als Arbeitgeber sehr beliebt. Eine optionale 24-stündige Betreuungsmöglichkeit, bei der Kinder sowohl tagsüber als auch nachts von geschultem Personal beaufsichtigt werden können, fehlt jedoch. Das wäre für Ärztinnen und Ärzte im Schichtdienst besonders wichtig. Auch die genannte Option, Führungspositionen in Teilzeit auszuüben, wäre für viele Ärztinnen und einen Großteil der jungen, männlichen Ärztegeneration ein großer Schritt für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

In der freien Wirtschaft liegt die Gender Pay Gap von Männern und Frauen bei 21 Prozent. Wie groß sind die Gehaltsunterschiede zwischen Ärztinnen und ihren männlichen Kollegen?

Dr. med. Christiane Groß: Es gibt in der Ärzteschaft, wie auch in der freien Wirtschaft Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen. Eine Gender Pay Gap bei gleicher Ausbildung, Qualifizierung und Position gibt es jedoch nicht im tariflichen Bereich. Im außertariflichen Bereich – also bei Leitungsfunktionen – finden wir Gehaltsunterschiede ebenso wie in der freien Wirtschaft.

Außerdem finden wir im niedergelassenen Bereich Gehaltsunterschiede, die durch die Honorierung der unterschiedlichen Sparten zustande kommen. Frauen arbeiten häufiger in den sogenannten „weichen“ Fächern, zu denen unter anderem Psychotherapie, Psychiatrie, Kinderheilkunde und auch Allgemeinmedizin gehören, die im Gegensatz zu den technischen und operativen Fächern niedriger honoriert sind. Besser bezahlt werden hingegen Operateure und erst recht Vertreter der technischen Fächer wie Radiologie oder Labormedizin. Hier sind eher Männer vertreten.

Sie setzen sich nicht nur für die Gleichberechtigung von Ärztinnen und Ärzten ein, sondern tragen auch dazu bei, eine gendersensible Gesundheitsforschung und -versorgung für Patient*innen in den Krankenhausalltag zu implementieren. Wie genau lauten Ihre Forderungen?

Dr. med. Christiane Groß: Wir fordern schon lange ein, dass die medizinische Forschung ebenso wie die Aus-, Fort- und Weiterbildung deutlich mehr für Genderfragen sensibilisiert werden muss. Weiterhin wird generell zu wenig berücksichtigt, dass Symptome geschlechtsspezifisch unterschiedlich sein können. Hier sei auf das glücklicherweise schon weithin bekannte Beispiel des Herzinfarktes verwiesen, bei dem die lange bekannten Symptome die des Mannes sind. Frauen nehmen einen Infarkt oft ganz anders wahr. Die Vernachlässigung des Faktors „Gender“ kann also im schlimmsten Fall sogar tödlich sein. Bei Depressionen hingegen kennen wir vor allem die weiblichen Symptome, die ebenfalls von den männlichen oft stark abweichen.

Ein weiteres drastisches Beispiel ist die Medikamentenforschung, die lange Zeit nur an jungen männlichen Probanden forschte, um Komplikationen bei eventuell auftretender Schwangerschaft zu verhindern. Die Angaben zu Dosierungen und Wirkungen von Medikamenten für Frauen beruhten deshalb jahrzehntelang nur auf Schätzungen. Auch wenn heute Frauen – unter strenger Empfängnisverhütung (Antikonzeption) –  in die Studien miteinbezogen sind, werden natürlich noch immer viele ältere Medikamente so eingesetzt wie eh und je. Denn die Kenntnisse über die Verstoffwechselung (Metabolisierung) von Medikamenten im weiblichen Körper werden erst langsam ergänzt.

Aus Gründen wie diesen setzen wir uns weiter ein für eine größere Sensibilisierung von genderspezifischen Themen in der Medizin. Dies gilt für die Ausbildung, also das Medizinstudium, ebenso wie für die Weiterbildung zur Facharztanerkennung oder die Fortbildung im aktiven Berufsleben. Doch es ist noch ein langer Weg, bis alle Kolleginnen und Kollegen an einem Strang ziehen.

Vielen Dank für das Interview, Frau Dr. med. Groß.

Das Interview führte Cora Christine Döhn.