Richter fällt Urteil
Anja Schlicht

Redaktionsleitung

„Rechts vor links“ auf Parkplätzen? BGH fällt ungewöhnliches Urteil

Die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ findet immer dann Anwendung, wenn keine Polizisten, Verkehrszeichen oder Ampeln den Verkehr regeln. Viele Autofahrer gehen daher davon aus, auf Parkplätzen Vorfahrt zu haben, wenn sie von rechts kommen. Der Bundesgerichtshof hat nun aber entschieden, dass die Regelung nur in bestimmten Fällen greift.

  • Auf Parkplätzen gilt nicht automatisch, dass das von rechts kommende Auto Vorfahrt hat.
  • Vielmehr müssen sich die Verkehrsteilnehmer über die Vorfahrt verständigen.
  • Dies geht aus einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe hervor.

„Rechts vor links“ ist eine sehr wichtige Verkehrsregel, die beispielsweise in Tempo-30-Zonen angewendet wird. Viele Autofahrer richten sich auch danach, wenn sie auf einem Parkplatz unterwegs sind. Passiert dann ein Unfall, weil der von links kommende Pkw keine Vorfahrt gewährt hat, ist für sie die Sache klar.

Doch „klar“ ist die Regelung auf Parkplätzen bei Weitem nicht, wie nun ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt (Aktenzeichen VI ZR 344/21). Demnach gilt die Vorfahrtsregel nur, wenn den vorhandenen Fahrspuren ein eindeutiger Straßencharakter zukommt, diese also beispielsweise eine Fahrbahnmarkierung haben und asphaltiert sind. Sind die Fahrbahnen keine Straßen und regeln keine Verkehrsschilder auf dem Parkplatz die Vorfahrt, gilt kein „rechts vor links“.

Verkehrsunfall auf Baumarkt-Parkplatz

Im konkreten Fall kam es zu einem Unfall auf dem Parkplatz eines Baumarkts. Auf diesem gibt es keine Beschilderung zur Vorfahrtsregelung und keine Fahrbahnmarkierungen. Das Blickfeld der beiden Fahrer war zudem durch einen parkenden Sattelschlepper eingeschränkt.

Die Kfz-Versicherung des von links kommenden, vermeintlich Schuldigen wollte nur 50 Prozent des Schadens zahlen. Dagegen klagte der andere Autofahrer, er wollte die vollen 100 Prozent.

Das Amtsgericht Lübeck legte eine Verteilung von 70 zu 30 zulasten des Beklagten fest. Aus Sicht der Richter waren beide Fahrer aufgrund der unklaren Verkehrssituation zu schnell unterwegs, der Beklagte allerdings schneller als der Kläger. Diese Haftungsquote bestätigte nun der BGH.

BGH: Keine Straße, keine „rechts vor links“-Vorfahrt

Die Karlsruher Richter erläutern in ihrem Urteil, dass die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ nur an Kreuzungen und Einmündungen gilt. Eine Kreuzung definiert sich in der Straßenverkehrsordnung als Schnittstelle zweier Straßen, die unter anderem durch eine Fahrbahnmarkierung gekennzeichnet sind. Die Fahrspur des Klägers wertet das Gericht „in keinem Fall“ als Straße, sondern nur als Fahrbereich. Daher gibt es auch keine Kreuzung, an der die „rechts vor links“-Regelung hätte gelten müssen:

„Rechts vor links gilt dann, wenn sich für den Verkehrsteilnehmer unmissverständlich ergibt, dass die Fahrbahnen nicht der Aufteilung und unmittelbaren Erschließung der Parkflächen, sondern in erster Linie der Zu- und Abfahrt und damit dem fließenden Verkehr dienen“, führt der Bundesgerichtshof weiter aus.

Die Richter ergänzen zudem, dass dem von links kommenden Kraftfahrer keine höhere Sorgfaltspflicht auferlegt werden kann, auch wenn die meisten Verkehrsteilnehmer von der „eingeschliffenen Regel ‚rechts vor links‘ auf Parkplätzen ausgehen mögen.“

Gesetzliche Vorfahrtsregel gilt auf Parkplätzen grundsätzlich nicht

Der BGH betont, dass die Straßenverkehrsordnung auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz „grundsätzlich“ gilt, insbesondere in Bezug auf die wechselseitige Rücksichtnahme.

Diese wird nach dem Urteil besonders gefragt werden. Denn selbst das Gericht erwartet, dass „auf Parkplätzen damit gerechnet werden muss, dass sich der von rechts kommende Kraftfahrer – irrig – für vorfahrtberechtigt hält. Dies ist aber kein Grund, den von rechts Kommenden zu privilegieren, der seinerseits beachten muss, dass die gesetzliche Vorfahrtsregel auf Parkplätzen grundsätzlich nicht gilt.“