Frau mit Stock wird gestützt
Anja Schlicht

Redaktionsleitung

Starker Anstieg von Pflegebedürftigen: Pflegereform dringend benötigt

In Deutschland wird es in Zukunft deutlich mehr pflegebedürftige Menschen geben als bislang erwartet. Laut dem Statistischen Bundesamt führt die zunehmende Alterung der Gesellschaft dazu, dass 2055 fast sieben Millionen Menschen auf Pflege angewiesen sein werden. Das setzt das ohnehin mehr als angespannte Pflegesystem unter immensen Druck.

  • Die sogenannten Babyboomer werden in den nächsten Jahren für einen deutlichen Anstieg an Pflegebedürftigen sorgen.
  • 6,8 Millionen Menschen werden bis 2055 auf Pflege angewiesen sein, so das Statistische Bundesamt.
  • Die große Anzahl stellt eine Herausforderung auf vielen Ebenen dar, vor allem für die Pflegeversicherung.

Noch 2015 ging das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung von rund 3,5 Millionen pflegebedürftigen Personen bis 2030 aus. Diese Marke ist nicht nur längst erreicht, 2021 zählte das Statistische Bundesamt fünf Millionen Pflegebedürftige. Neueste Vorausberechnungen der Statistiker zeigen zudem, dass es deutlich mehr Pflegebedürftige als bislang erwartet geben wird. Bis 2055 könnten es 6,8 Millionen Personen sein.

Dabei spielt der medizinische Fortschritt eine große Rolle. Er führt zu einer besseren Behandlung, auch von alterstypischen Erkrankungen, sodass die Menschen immer älter werden können. Doch je älter sie werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden.

Dies zeigt auch das Statistische Bundesamt: Ende 2021 waren rund 2,7 Millionen Pflegebedürftige 80 Jahre und älter. Das entspricht 55 Prozent aller auf Pflege angewiesenen Personen. 2055 können es bereits 4,4 Millionen Menschen sein.

Nach 2055 erwarten die Statistiker keine großen Veränderungen mehr, „da die geburtenstarken Jahrgänge aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren durch geburtenschwächere Jahrgänge im höheren Alter abgelöst werden.“

Pflegereform klammert finanzielle Stabilität der Pflegekassen aus

37 Prozent mehr pflegebedürftige Personen bis 2055 bedeuten eine große Herausforderung – für Pflegekräfte, pflegende Angehörige und die Pflegeversicherung. Dabei steht das Pflegesystem schon jetzt unter immensen Druck. Derzeit gibt beispielsweise die Pflegekasse mehr Geld aus, als sie einnimmt. 2022 betrug das Defizit 2,2 Milliarden Euro. Um dieses Finanzloch zu stopfen, plant Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ab Juli 2023 höhere Pflegebeiträge zu erheben.

Damit sollen auch Leistungsverbesserungen finanziert werden, etwa ein höheres Pflegegeld. Diese Leistung wurde seit Einführung der Pflegegrade 2017 nicht angepasst. Die geplante Pflegereform sieht dabei eine geringe Erhöhung von fünf Prozent vor.

Krankenkassen fordern mehr Steuermittel für Pflegeversicherung

Aus Sicht des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen greifen die Beitragsanpassungen zu kurz, um das Pflegesystem langfristig auf stabile Beine zu stellen. Das Geld könne zwar helfen, in den nächsten ein bis zwei Jahr über die Runden zu kommen, so Verbandssprecher Florian Lanz. „Dann ist auch schon wieder Schluss.“

Was die gesetzliche Pflegeversicherung braucht, ist ein höherer Zuschuss vom Bund – also mehr Steuermittel. Doch bislang zeigt sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) in dieser Sache eher verschlossen.

Entsprechend eindeutig sind die Forderungen, die Pflegekassen, Sozialverbände und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Ende Februar in einem gemeinsamen Brandbrief an Kanzler Olaf Scholz (SPD) und an Lindner gerichtet haben. „Bei den Leistungsverbesserungen hält die Koalition Wort, bei der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen stiehlt sie sich aus der Verantwortung. Dabei muss die Soziale Pflegeversicherung gerade in Krisenzeiten ein Stabilitätsanker sein und einen Betrag zur sozialen Gerechtigkeit leisten.“