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Anja Schlicht

Redaktionsleitung

„Viele Haushalte mit mittleren Einkommen wissen nicht mehr weiter“

Im zweiten Entlastungpaket hat die Bundesregierung verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Folgen der Inflation abzumildern. Aus Sicht der Opposition reicht das Paket jedoch nicht aus. Christian Leye von der Linksfraktion sieht unter anderem Rentner benachteiligt. Zudem fordert er eine staatliche Deckelung der Energiepreise.

Veröffentlicht am 17. Mai 2022

Der Ukraine-Krieg, aber auch die Inflation sorgen dafür, dass die Preise für Energie, Benzin und Lebensmittel in die Höhe schießen. Billigeres Tanken, Neun-Euro-Monatsticket, Steuererleichterungen und Einmalzahlungen wie die Energiepauschale sollen dafür sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger die steigenden Kosten für Strom, Gas und Benzin stemmen können.

Nach Meinung von Opposition und Sozialverbänden reichen diese Maßnahmen bei weitem nicht aus. So stößt vor allem die Energiepauschale auf massive Kritik. Denn sie wird nur an Erwerbstätige ausgezahlt, nicht jedoch an Studierende sowie Rentnerinnen und Rentner.

Dass gerade Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen bei den entlastenden Maßnahmen übergangen werden, kritisiert unter anderem Christian Leye, wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Als Maßnahme gegen die ansteigende Inflation schlägt er vor, dass der Staat die Energiepreise kontrollieren und deckeln solle. Außerdem müssten Konzerne, die von der Krise profitieren, viel stärker an den Kosten beteiligt werden. Im Interview mit finanzen.de erklärt Christian Leye, wie andere europäische Länder die staatliche Deckelung der Energiepreise umsetzen und warum sich die Ampel vor ähnlichen Maßnahmen scheut.

Herr Leye, wie bewerten Sie das zweite Entlastungspaket vor allem mit Blick auf die einkommensschwachen Haushalte?

Christian Leye: Die von der Ampel-Koalition angekündigten Einmalzahlungen reichen nicht annähernd aus, um die gestiegenen Kosten auszugleichen. Außerdem hat die Regierung einige Gruppen wie zum Beispiel Rentnerinnen und Rentner völlig vergessen. Viele werden auf hohen Nachzahlungen sitzen bleiben. Das ist unerträglich.

Die Maßnahmen zur Entlastung der Bürger aufgrund drastisch gestiegener Energiekosten sind zeitlich begrenzt. Was muss passieren, damit einkommensschwache Personen langfristig entlastet werden?

Christian Leye: Als Bundestagsfraktion DIE LINKE haben wir beantragt, die Zuschüsse für Wohngeld zu verdoppeln, Strom- und Gassperren für Privathaushalte zu verbieten, Energiesteuern auszusetzen und die Preise zu regulieren. Denn die Preisexplosion bringt längst nicht nur die Ärmsten in unserer Gesellschaft in Bedrängnis, auch viele Haushalte mit mittleren Einkommen wissen nicht mehr weiter.

Außerdem streiten wir dafür, dass die Regelsätze in der Existenzsicherung umgehend erhöht werden. Nötig sind ehrlich berechnete Sozialleistungen, die zum Leben reichen.

Sie fordern eine Zeitenwende für soziale Gerechtigkeit. Was ist Ihrer Meinung nach der wichtigste Schritt, um diese zu erreichen?

Christian Leye: In unserem reichen Land ist genug Geld da. Es geht immer darum, wie der Reichtum verteilt wird – egal, ob Milliardäre ins Weltall fliegen oder bei mir im Wahlkreis an den Schulen die Decke runterkommt. Soziale Gerechtigkeit ist möglich, wenn wir die Reichen und Superreichen angemessen an den Kosten unseres Gemeinwesens beteiligen, und kleine sowie mittlere Einkommen entlasten. Die aktuelle Politik macht leider das Gegenteil.

Bereits in der Corona-Krise war es ja so, dass kleine und mittlere Einkommen die größten Einkommensverluste hatten – während die Vermögen der Milliardäre weiter absurd angewachsen sind. Trotzdem sperrt sich die Ampel-Koalition weiter gegen den Vorschlag der LINKEN, eine Vermögensabgabe zur gerechten Lastenverteilung einzuführen. Unter dieser Verweigerungshaltung leidet die große Mehrheit der Menschen hierzulande.

Sie machen sich dafür stark, die Energiepreise zu kontrollieren. Was machen andere europäische Länder besser als Deutschland?

Christian Leye: Ein paar Beispiele: Selbst in der sonst so wirtschaftsliberalen Schweiz gibt es seit Jahrzehnten das Amt des Preisüberwachers, der im Extremfall Preisvorgaben per Verordnung durchsetzen kann. In Italien kontrolliert die Finanzpolizei die Preise für Strom, Öl und Gas, und zwar vom Einkauf über die Produktion bis zum Verkauf – damit Spekulanten keine Kasse machen können. Und in Frankreich reguliert der Staat die Strompreise: Die französische Regierung hat den Anstieg der Energiepreise beim staatlichen Stromkonzern auf vier Prozent gedeckelt. Zum Vergleich: Bei uns stiegen die Strompreise in der gleichen Zeit um 23 Prozent.

Warum hadert die Bundesregierung Ihrer Meinung nach mit einer Preisregulierung?

Christian Leye: Offensichtlich wollen sich SPD, Grüne und FDP nicht mit denen anlegen, die richtig dick Kasse machen. Aktuell sind es die Energiekonzerne und Raffinerie-Betreiber, die vom Nichtstun der Regierung profitieren. Sie haben die Benzinpreise deutlich stärker erhöht, als die Rohölpreise gestiegen sind. Das Ergebnis: Shell zum Beispiel hat gerade den bisher höchsten Quartalsgewinn der Unternehmensgeschichte verkündet – über neun Milliarden Dollar! Das ist mehr als dreimal so viel wie der für den gleichen Zeitraum des Vorjahres angekündigte Gewinn.

Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet damit, dass die hohen Energiepreise in diesem Jahr bis zu 200 Milliarden Euro zusätzlich in die Kassen der Energieanbieter spülen könnten.

Dabei bräuchten wir gerade in der Krise eine Regierung, die sich schützend vor ihre Bürgerinnen und Bürger stellt, und diese Abzockerei verhindert. Das heißt: Preisregulierung in besonders sensiblen Bereichen wie bei der Energie, und insgesamt eine Übergewinnsteuer, die Unternehmen, die in der Krise Extraprofite erwirtschaftet haben, angemessen an den gesellschaftlichen Kosten der Krise beteiligt. Dafür setzen wir uns als LINKE weiter ein.

Vielen Dank für das Interview, Herr Leye.