Belebte Innenstadt
Anja Schlicht

Redaktionsleitung

Finanzloch der Krankenkassen: Selbstbeteiligung oder höhere Beiträge?

Gesetzlich Versicherte müssen bereits viele Leistungen ihrer Krankenkasse zuzahlen, etwa Medikamente, physiotherapeutische Behandlungen und Zahnersatz. In den Augen des Gesundheitsökonomen Bernd Raffelhüschen müssten die Bürger aber noch deutlich stärker eingespannt werden, um die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung zu begrenzen.

  • Die Krankenkassen werden dieses Jahr mit einem historischen Defizit abschließen.
  • Sofern sich der Bundeszuschuss nicht erhöht, wird das Minus nur über höhere Beiträge gestemmt werden können.
  • Einen anderen Weg schlägt der Ökonom Raffelhüschen vor.

„Patienten müssen künftig mehr aus eigener Tasche dazu bezahlen“, fordert der Gesundheitsökonom Bernd Raffelhüschen in der Bild-Zeitung. Er schlägt die Einführung einer gestaffelten Selbstbeteiligung von bis zu 2.000 Euro jährlich vor. Versicherte sollten zunächst 50 Prozent und dann 20 Prozent der Gesundheitskosten übernehmen.

Mehr noch: Wer Risiken in Kauf nimmt, etwa Skifahren geht und sich verletzt, sollte die Behandlungskosten komplett selbst stemmen. Auch Raucher würde Raffelhüschen mehr in die Pflicht nehmen, wenn sie sich aufgrund von Folgeerkrankungen behandeln lassen müssen. Immerhin: Für Geringverdiener sieht er Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt vor.

Ohne diese Maßnahmen droht der Beitragssatz für die Krankenkassen bis 2035 auf 22 Prozent zu steigen, so der 65-Jährige. Das wären sechs Prozent mehr als aktuell.

Lauterbach gegen Selbstbehalt

Zwar hat die Politik den Vorschlägen des Ökonomen bereits eine Absage erteilt. So schrieb Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf Twitter, dass der Selbstbehalt für „Uniprofessoren wie Herrn Raffelhüschen und mich bezahlbar wären. Für die große Mehrheit der Bevölkerung geht das nicht.“ Das Finanzproblem der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist jedoch eines, das der SPD-Politiker nicht ignorieren kann. Seit 2019 wächst das Defizit der Kassen an, für dieses Jahr rechnen die Kasse mit einem Minus von 17 Milliarden Euro.

Höhere Beiträge für gesetzlich Krankenversicherte alternativlos?

Lauterbach möchte das Minus mit einem höheren Bundeszuschuss begrenzen. Doch das Geld will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nicht freigeben. „Der Finanzminister legt seinen Schwerpunkt auf die Einhaltung der Schuldenbremse und auf Projekte wie die Aktienrente und die Bundeswehr“, teilt Lauterbach dem Handelsblatt mit. „Dann lassen sich steigende Lohnzusatzkosten kaum vermeiden.“

Auf gesetzlich Versicherte drohen also steigende Beiträge zuzukommen. Andere Möglichkeiten wie Honorarkürzungen bei Ärzten und Zahnärzten oder Streichungen bei Kliniken schließt der Minister aus. Ohne Beitragszuschuss „müssten wir noch stärkere Einschnitte vornehmen als im vergangenen Jahr. Das wird auch der Koalitionspartner im Finanzministerium kaum wollen“, mahnt der Gesundheitspolitiker.

Bereits in diesem Jahr musste das Bundesgesundheitsministerium den durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 1,3 Prozent auf 1,6 Prozent erhöhen. Zudem hat die Mehrheit der Kassen ihren Beitrag nach oben angepasst.

Wahltarif der gesetzlichen Krankenkasse mit Selbstbehalt

Auf freiwilliger Basis können gesetzlich Krankenversicherte den Vorschlag des Ökonomen bereits umsetzen. Denn manche Krankenkassen bieten sogenannte Selbstbehalttarife an. Damit verpflichten sich Mitglieder, einen Teil ihrer jährlichen Behandlungskosten zu übernehmen, etwa 800 Euro. Im Gegenzug erhalten sie eine Prämie von maximal 600 Euro im Jahr.

Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen sind von der Selbstbehaltpflicht ausgeschlossen. Die Tarife eignen sich daher vor allem für gesunde Personen. Denn ohne weiteren Arztbesuch können sie leicht die Prämie ihrer Kasse einstreichen.